Im Brennpunkt Newel (IV) – 10.11.1943 – 16.12.1943

Bei der „Neunten“ hämmert der Feind bis 9.30 Uhr auf die Stellung. 50 Sowjets robben im Nebel an das Drahthindernis heran. Erst als sie mit Drahtscheren und Sprengladungen Gassen bahnen, werden sie erkannt. Blitzartig setzt das hervorragend liegende Sperrfeuer ein. Bis weit in das Kusselgelande hinein ist das Niemandsland von Wehgeschrei er­füllt. Bereits nach 30 Minuten ist dieser Angriff restlos abgeschla­gen. Eine halbe Stunde später hört man im Kusselgelande erneut Ge­brüll. Der Kompanie-Dolmetscher vernimmt deutlich Rufe wie: „Los, ihr verfluchten Schweine, greift an!“ Gegen Mittag tastet sich dann eine zweite Welle der Sowjets vor. Wieder gelingt es etwa 70 Mann, im Schutze des Nebels an die Verdrahtung heranzukommen, hier aber werden sie restlos zusammengeschossen. Ein verwundeter Russe läuft bei der 9. Kompanie über, er ist vollkommen betrunken. Weitere Bereitstel­lungen werden durch gutliegende Feuerschläge schon vor der Entfal­tung zerschlagen. Am anderen Tage versucht der Feind bei Boloschki sein Heil, doch werden auch diese Angriffsversuche blutig abgewiesen. Später stellen Spähtrupps im Niemandsland zahlreiche Massengräber fest, die Leichen zweier Flintenweiber, dabei M.P.’s mit Munition, liegen noch im Gelände. Auch in den Kusseln werden viele Leichen aus­gemacht, vor diesem Bataillons-Abschnitt allein 600 Tote gezählt. Reiche Beute an Waffen und Munition wird eingebracht, ungezählte Trümmer von zerschlagenen Waffen bedecken das Gefechtsfeld. – Beim I. Bataillon G.R.410 hat der Feind zur gleichen Zeit vergeblich angegrif­fen. – Der Kommandeur des G.R.410, Major Kliemann, hatte nach mehre­ren fehlgeschlagenen Versuchen des Feindes, die von seinem Regiment zäh verteidigte Höhe 180,3 wiederzunehmen, damit gerechnet, daß die Angriffe mit noch stärkeren Kräften wiederholt würden. Deshalb traf er seine Abwehrmaßnahmen bis ins Kleinste. Dieser sorgfältigen Vor­bereitung war es zum großen Teil zu verdanken, dass der entscheiden­de am 10.11.1943 begonnene Großangriff mehrerer Divisionen auch hier blutig zusammenbrach. Nicht weniger als neun Angriffe heftigster Art, die meisten sogar in mehreren Wellen vorgetragen, schlugen die überaus tapfer kämpfenden Grenadiere ab. Nicht ein Meter Boden ging verloren, ganze Regimenter des Feindes schlugen sie zusammen.

Über den Abwehrkampf vom 10.-12.11.1943 berichtete die 58. Infanterie-Division in ei­ner Zusammenfassung. Wir können uns hier vorwiegend auf die Ereig­nisse daraus beschränken, die sich auf die ihr unterstellten Teile unserer 122.(Greif) Infanterie-Division beziehen. Für den rechten Flügel der 58. Infanterie-Division war für den 10.11.1943 trotz allem ein eigener Angriff befoh­len worden. Daneben wurde die Abwehr für den mit Sicherheit zu er­wartenden Großangriff organisiert. Am 10.11.1943, 6.30 Uhr Beginn des starken feindlichen Vorbereitungsfeuers auf die gesamte Hauptkampflinie der Division, das sich bis 8.00 Uhr immer mehr steigerte. Am Trommelfeuer waren beteiligt: Pak, Granatwerfer, Artillerie bis zu schwersten Kalibern, 2 Garde-Werfer-Brigaden mit 30 cm Werfern. Da Feuer­stellungen und Ziele einer Garde-Werfer-Brigade aus Gefangenenpapieren ersicht­lich waren, befahl die Division am linken Flügel vorübergehende Räumung eines Teiles der Hauptkampflinie. Um 8.00 Uhr war der Gegner zum Angriff auf breiter Front angetreten, unterstützt von heftigem Feuer, von Panzern und laufenden Schlachtfliegereinsätzen. Im Abschnitt Kampfgruppe Ziegler (Teile G.R.154, I./G.R.411) entwickelten sich besonders heftige Kämpfe bei Worosheika. Dort versuchte der Feind, den Beutebefehlen entsprechend, den Durchbruch zur Rollbahn Newel-Pustoschka zu erzwin­gen. Es gelang zunächst, alle Angriffe abzuschlagen. Gegen 9.45 Uhr konnte der Gegner einen kleinen Einbruch erzielen, der jedoch sofort bereinigt wurde. In der Folgezeit verstärkte sich der Feind aber lau­fend und zog Panzer zusammen. Um 11.00 Uhr erneuter Angriff mit Pan­zern und Infanterie gegen die Hauptkampflinie der Kampfgruppe. Dabei konnte der Gegner mit einigen Panzern durchbrechen. Die Infanterie ließ sich aber überrollen, wehrte die feindliche Infanterie, die teils aufgeses­sen, teils zu Fuß folgend durchzubrechen versuchte, ab. Von den durch­gebrochenen Panzern wurden 5 durch Sturmgeschütze abgeschossen, die übrigen drehten ab. Gegen 13.00 Uhr war die Hauptkampflinie fest in eigener Hand. Im Abschnitt G.R.410 richteten sich die Angriffe des Feindes auf die Wiedergewinnung der beherrschenden Höhe 180,3. Kurz nach 8.00 Uhr trat der Feind nach starker Feuervorbereitung und Schlachtfliegereinsatz in zwei Wellen von je 400 bis 500 Mann zum Angriff auf Goruschki an. Kurz darauf Angriff weiter westlich in zwei Wellen von je Bataillons-Stärke. 8.20 Uhr neuer Angriff von etwa 400 Mann entlang der Straße Boloschki-Skoblowo. Alle Angriffe wurden unter schweren Verlusten für den Feind zurückgeschlagen. Gegen 9.45 Uhr trat der Feind nach Zuführung neuer Kräfte erneut zum Angriff gegen die ganze Front des Regiments, südlich der Linie Goruschki-Skoblowo an. Er konnte sich bis dicht an die Hauptkampflinie heranarbeiten, wurde dann aber zerschlagen und flutete zurück. Ein gleichzeitiger Angriff von 2-3 Kompanien gegen Mikleschi wurde abgewiesen. Im weiteren Verlauf des Vormittags wurden noch mehrere Bereitstellung­en des Feindes erkannt. Durch eigenes zusammengefaßtes Artillerie-Feu­er kamen jedoch zunächst keine weiteren Angriffe zur Entwicklung. So­weit hier der Verlauf des Vormittags des ersten Großkampftages der 3. Schlacht bei Newel. Nachmittags setzte der Feind im Abschnitt des G.R.410 wieder seine starken Angriffe fort. Mehr als 2 Regimenter rann­ten in mehreren Wellen vergebens gegen die Stellungen des Regiments an.

Am Nachmittag des 10.11.43 setzte der Feind seine Bemühungen, mit star­ken Panzerkräften bei Worosheika einen Durchbruch zu erzielen, fort. Nach einigen erfolglosen Versuchen stießen schließlich einige Panzer durch die Hauptkampflinie bis zu einem Bataillons-Gefechtsstand vor. Auch hier ließen sich die Grenadiere des I./G.R.411 überrollen und wehrten die feind­liche Infanterie in zähem Kampf ab. Bei Einbruch der Dunkelheit stan­den noch 5 kampffähige Panzer hinter der eigenen Hauptkampflinie. Sie hatten sich eingeigelt. Dagegen angesetzte Sturmgeschütze konnten 3 T34 ab­schießen. Die restlichen Panzer wurden durch G.G.154 mit Faustpatronen, die erstmalig eingetroffen waren, vernichtet. Kleine Einbrüche bei G.R.410, die dem Feind gelangen, endeten nach erbitterten Nah­kämpfen mit seiner Vernichtung.

Trotz aller Bemühungen hatte der Feind am 10.11.1943 gegen die verstärkte 58.Infanterie-Division nichts erreicht. Alle seine Angriffe waren von starkem Feuer unterstützt worden. Während der ersten beiden Morgenstunden verschoss er nach Aufzeichnungen der Beobachtungs-Abteilung 2 allein an Artillerie-Munition etwa 20.000 Schuss auf die Hauptkampflinie Hierzu hämmerten noch zahlreiche Salven schwerster Salvengeschütze, Granatwerfer und Pak, sowie Bomben und Bord­waffen von Schlachtfliegern pausenlos auf unsere Stellungen. Insgesamt wurden vom Feind am 10.11.1943 auf den Abschnitt der 58. Division 40.000 Schuss verschossen.

Menschenmäßig war der Gegner erheblich überlegen. Durch Gefangenenaussagen wurde festgestellt, dass der größte Teil der neu herangeführ­ten 6. Garde-Armee mit 4 G.S. Divisionen, 2 Panzer-Brigaden und 1 Garde-Granatwerfer-Division angriffen, dazu die bisherige Stellungs-Division und Brigade.

Der Morgen des 11.11.1943 fand die Division wieder voll abwehrbereit in Erwartung neuer Angriffe des Feindes. Die Gräben waren größtenteils zerschossen, die Reihen stark gelichtet. Der bedeutende Abwehrerfolg des Vortages hatte aber in jedem einzelnen Soldaten der Division das Ge­fühl der Überlegenheit gegenüber dem zahlenmäßig weit stärkeren Feind geweckt. Bald zeigte sich, dass der Feind seine Absicht, die Stellungen der Division zu durchbrechen, um sich dadurch eine Nachschubstraße im Raum Newel freizukämpfen, noch nicht aufgegeben hatte. Da er sich am 10.11.1943 erheblich verschossen hatte, konnte er seine Angriffe nicht mehr so stark mit Feuer vorbereiten und unterstützen.

Bei Worosheika kam es, abgesehen von kleineren Vorstößen, die sofort zurückgeschlagen wurden, nur um 10.45 Uhr zu einem größeren Angriff in Bataillons-Stärke, der von 5 Panzern unterstützt wurde. Auch dieser An­griff führte zu keinem Erfolg für den Gegner. Der restliche Tag blieb in diesem Abschnitt sehr ruhig. Für den Abschnitt G.R.410 brachte der 11.11.1943 wieder harte Kämpfe.

An der Südfront der 122. Infanterie-Division versuchte der Russe am 12.11.1943 das II./411 beim Dorf Kalinitschina wiederum anzugreifen. Dabei wurden 2 russische Kompanien, die sich nach erfolgreichem Einsickern in ein Waldstück zum Angriff auf die Naht zum rechten Nachbarn bereitgestellt hatten, durch zusammengefasstes Feuer der 9 schweren Granatwerfer des Bataillons vernichtet. Am 13.11.1943 setzte die im Herbst übliche Schlammzeit ein. Sie brachte Freund und Feind Schwierigkeiten für die Bewegungen wie für die Versorgung und brachte zunächst einen gewissen Stillstand größerer Kampfhandlungen bis zum Einsetzen der Frostperiode. Seit dem 7.11.1943 sperrten die Russen die Rollbahn. Nun musste die gesamte Versorgung auf einfache, bald grundlose Feldwege um-geleitet werden, um die Basis Pustoschka-Sabelje-Majewo zu erreichen. Kraftfahrzeuge blieben 2-3 Tage unterwegs, an Bergstrecken, mussten Zugmaschinen sie einzeln durchziehen. Bespannten Fahrzeugen mussten 8 Pferde vorgelegt werden. Da meldete der Ib der Division, dass der Brotvorrat nur noch für 2 Tage reiche. Zwar löste er mit dieser Meldung beim Ia das Gegenteil von Freude aus, doch die Di­vision wusste sich zu helfen. In den vorhergehenden Tagen hatte jedes Regiment gerade zwei leichte Lkw auf Raupen die neu entwickelten Rau­penschlepper Ost (RSO) erhalten. Die zog die Division nun zusammen. Damit konnte das tägliche Brot weiter anrollen.

Bekanntlich hatte jeder Stab nicht nur den Kampf gegen den Feind zu führen, sondern oft recht aufreibende Auseinandersetzungen mit vor­gesetzten Dienststellen durchzustehen. Nicht anders erging es zu jener Zeit der 122. Infanterie-Division, die sich gegen das Abziehen von Truppen aus ihrer dünnbesetzten Front wehren musste. Darüber sagte ein 2 Seiten langes Schreiben mit einer Lagebeurteilung vom 15.11.1943 aus, als die Division den Regiments-Stab und das I.Bataillon G.R.102 abgeben sollte: „Der Feind ist gezwungen, die zurzeit nur wenige Kilometer breite Durchbruchsstelle durch Angriffe gegen die deutschen Eckpfeiler zu erweitern, da er andernfalls das Abschneiden der gesamten im Einbruchsraum befindlichen Kräfte befürchten muss. Das Feindbild in der Nacht 14./15.11.1943 und am Vormittag des 15.11.1943 ergibt einwandfrei: Vor der Westhälfte des Division-Abschnitts beiderseits des Kare-Sees hat sich der Feind infanteristisch ganz erheblich verstärkt. Nach dem am 14.11.1943 nachmittags gegen den gesamten Division-Abschnitt einsetzenden schwerpunktmäßig zusammen gefassten feindlichen Granatwerferfeuer be­ginnt die feindliche Artillerie sich gegen einzelne Punkte einzuschießen. Vor der Osthälfte des Division-Abschnitts wurde in der Nacht 14./15.11.1943 das Neuauftreten der in dieser Nacht neu eingesetzten und voll kampf­kräftigen 67. Garde-Schützen-Division durch Beutepapiere und Gefangenenaussa­gen festgestellten deren Angriffsabsicht bestätigt. Für das bisherige Ausbleiben des Angriffs gibt es mehrere Vermutungen.

Die in den letzten Tagen laufend geschwächte Besetzung des eigenen Division-Abschnittes besteht gerade noch aus einer durchlaufenden dünnen Linie, hinter der nur ganz geringe örtliche Reserven stehen. Ein voll durchlaufender Graben, Drahthindernisse und Verminungen fehlen. Reser­ven konnten nur unter kaum tragbarer Schwächung der Front gewonnen werden, bestehend aus dem I./G.R.553 (Gefechts-Stärke 269 Mann) und zwei schwachen Kompanien. Die artilleristische Abwehrkraft ist für den breiten Abschnitt zu schwach. Sturmgeschütze und Panzer fehlen ganz.“

Trotz der Schlammzeit dauerten Bewegungen und örtliche Unter­nehmungen des Feindes an. Am 15.11.1943 vormittags wurden 30 Panzer und 11 Salvengeschütze von Kamenka nach Westen fahrend beobachtet. Im Laufe des Tages erfolgen unsererseits starke Feuerüberfälle auf feind­liche Dörfer, in denen 50 Panzer und 61 Lkw beobachtet wurden, davon 40 mit angehängten Geschützen. Nachts besteht lebhafter Verkehr in den Einbruchsraum. Unsere Armee vertrat die Ansicht, dass der Feind sich mit der 6.Garde-Armee weiter nach Westen ausbreitet und die 3. Stoß-Armee zum Angriff auf Pustoschka zusammenzieht. Die 122. Infanterie-Division stellt auch am 16.11.1943 die feindlichen Gräben stärker besetzt fest. Am 18.11.1943 mittags wird bei Ostrowo ein feindlicher Stoßtrupp abgewehrt. Er stieß über den Uswoja-See vor, ein Gefangener sprach von morgigem Angriff. II./G.R.411 wurde von vier T 34, zwei T 70 und einem Chur­chill-Panzer angegriffen. Ohne panzerbrechende Waffen, nur durch Mi­nen, Granatwerfer- und schwerem Infanterie-Gewehr-Feuer konnte das Bataillon vier T 34 und einen T 70 vernichten! Am 20.11.1943 früh erkannte auch die 58. Infanterie-Division, daß sich der Schwerpunkt eines erwarteten Angriffs gegen den linken Flügel der 122. Infanterie-Division richtete und verlegte Artillerie und schwere Granatwerfer an die Abschnitts Grenze. Ostwärts des Usswoja-See griff der Feind nach star­ker Artillerie- und Granatwerfer-Vorbereitung, um 13.00 und um 15.45 Uhr mit mindestens 3 Bataillonen mit Panzerunterstützung an. Er wurde zum Teil im Nahkampf unter für ihn schweren Verlusten abgeschlagen. General Chili erstattete abends seine Abschlussmeldung über den Verlauf des feindlichen Angriffs: Hauptkampflinie überall in eigener Hand. Einbruch an der vorspringenden Nase südlich des Plissa-See in 150m Breite um 19.15 Uhr bereinigt. Kleinere Einbrüche am Karolewa-See konnten in soforti­gen Gegenstößen beseitigt werden. 4 nächtliche Stoßtruppangriffe am 21.11.1943 nachts wurden abgewiesen. Unser starkes Artillerie-Feuer auf die russischen Bereitstellungsräume zerschlug am Morgen der feindlichen Angriffspläne. Als der Gegner um 11.45 Uhr antrat, wurde sein Angriff abgewiesen.

Die folgenden Tage standen im Zeichen der Vorbereitung eines eigenen Angriffs des I. Armee-Krops, der am 1.12.1943 beginnen sollte. Zwei neu herange­führte Divisionen, die 23. und 32.Infanterie-Division, stellten sich dazu rechts ne­ben der 122.Infanterie-Division im Abschnitt der 290.Infanterie-Division bereit. Beabsichtigt war, durch einen Vorstoß nach Westen bis zu einem 5 km entfernten See die nördlich davon stehenden Divisionen abzuschneiden. Anscheinend hatte jedoch die Obere Führung den Angriff mehr nach der Karte als auf Grund des Geländes geplant. So hatte die rechts angesetzte 23. Infanterie-Division, wie ei­ne Verbindungsaufnahme mit dem Division-Kommandeur zeigte, anfangs ein völ­lig ebenes Gelände und danach den offenen Uschtscha-Grund zu überwin­den. An dieser Stelle mißlang der-Angriff völlig. Nach Ansicht der 23. Infanterie-Division gelang es auch nicht, wiederholte eigene Stuka-Einsätze zeitlich richtig abzustimmen. – Als Reserven für diesen Angriff musste die Greif-Division am 1.12.1943 abends das I./G.R.553 abgeben und am 2.12.1943 der 32. Infanterie-Division vorübergehend das II./G.R.409 zur Verfügung stellen, außerdem das Füsilier-Bataillon 122 als Korpsreserve herauslösen. – In dreitägigen schweren und ver­lustreichen Angriffskämpfen gelang es der Angriffstruppe nur, einen 3 Kilometer tiefen Keil an einer Stelle vorzutreiben. Am 3.12.1943 beobach­tete die 122. Infanterie-Division westlich des Lowez-See 4-6 feindliche Panzer, die 6.30 Uhr gemeldet wurden und um 9.45 Uhr bei der 32. Infanterie-Division angriffen und dabei zum Teil durchbrachen.

Das I. Armee-Korps vertrat die Ansicht, der Angriff habe den Feind ge­zwungen, seine operativen Reserven dagegen einzusetzen, die ihm an anderer Stelle fehlen würden. – Nach allen früheren Erfahrungen musste man wohl damit rechnen, das der Russe etwa 4 Wochen nach der dritten Schlacht bei Newel, also gegen Mitte Dezember, zu einem neuen Groß­angriff gegen das I. Armee-Krops ansetzen würde.

Nachdem die 122. Infanterie-Division am 9.12.1943 erfahren hatte, dass die 329. Infanterie-Division ihr Feld-Ersatz-Bataillon wiederbekäme, erbat sie beim Korps die Rückgabe ih­res dort eingesetzten Feld-Ersatzbataillon 122, insbesondere des Unterführer-Lehr­gangs. Desgleichen beantragte sie die Freigabe des noch bei der 32. Division sich befindenden Füsilier-Bataillon 122, um die Plissa-Seefront zu verstärken. In dieser Zeit mussten die langgestreckten Ufer der zugefrorenen Seen in die Front mit einbezogen werden. Deshalb erging seitens der Divi­sion der Antrag am 12.12.1943, den linken Flügel des G.R.409 westlich des Usswoja-See auf eine ausgebaute Stellung zurückzunehmen, um hier zu­gleich die Front zu verkürzen. Die Eisdecke war nun 14-18 cm stark und Feinde mit Schlitten wurde auf dem See gesehen.

Seit dem 13.12.1943 drohte dem rechten Flügel der Division verstärkte Ge­fahr. Im Raum Ignatenki erkannte neue Batterien hatten sich dort auf das beherrschende Höhengelände von Ossetki eingeschossen. Seit mehre­ren Tagen beobachtete Bewegungen, ließen hier auch einen Handstreich als möglich erscheinen. Am 14.12.1943 nachmittags begann starkes feind­liches Störungsfeuer (alle 2 Minuten 1 Schuss) auf den Abschnitt Osset­ki-Ussowo, sowie auf das Hintergelände des rechten Divisionsflügels. Bereits für die folgende Nacht war ein Angriff nicht auszuschließen. Die Division erbat daher dorthin Sturmgeschütze der Panzer-Jagd-Abteilung 5 so­wie den schweren Infanterie-Geschütz-Zug des I./G.R.411 von der 58. Infanterie-Division. Beides wurde zugesagt. Abends erging die Mitteilung, dass das Feld-Ersatz-Bataillon 122 zurückkommen würde. Sehr zu begrüßen war die Verlegung einer Flak-Kampfgruppe mit einer schweren Batterie und einem leichten Zug hinter den rechten Di­visions-Flügel. Am 15.12.1943 blieb die Lage noch unverändert.

Die 4. Schlacht bei Newel

Am Morgen des 16.12.1943 beobachtet die 122.Infanterie-Division lebhafte Feindbewegun­gen in Süd-Nordrichtung bei Petjulino und Kamenka. Mit starker Artillerie- und Panzerunterstützung greift bald darauf der Russe den rechten Divisionsflügel und den rechten Nachbarn an. Während die Angriffe auf Ossetki in wechselvollem Ringen größtenteils im Nahkampf abgewehrt werden, er­zielt der Feind schon vormittags entlang der Naht zum rechten Nach­barn, der 32. Infanterie-Division, in deren Abschnitt einen breiten und tiefen Ein­bruch, der die rechte Flanke der Greif-Division aufreißt und sie in eine schwere Krise bringt. Die Bewältigung dieser Gefahr fiel allein uns zu. Als einzige vorhandene Reserve musste das Pionier-Bataillon 122 zur Abriegelung eingesetzt werden. Die Division tat das schweren Her­zens, weil nicht nur strenge Befehle der Oberen Führung, sondern auch das eigene Interesse jeglichen Kampfeinsatz von Pionieren äußerst ein­schränkte. In diesen Stunden wirkte sich sowohl bei der 32. wie bei der 23. Infanterie-Division der verfehlte und verlustreiche Angriff vor 14 Tagen durch nunmehr mangelnde Abwehrkraft verhängnisvoll aus! – Im Wechselgespräch zwischen 122. Infanterie-Division und I. Armee-Krops zeichnete sich der weitere Verlauf des neuen krisenhaften Großkampftages so ab:

  • 11.00 Uhrwurde ein weiterer Angriff auf Ossetki abgeschlagen, ein neuer Angriff Bogdaschkow ist im Gange. Bei Schelkonicha ist Feind eingebrochen. 4 eigene Sturmgeschütze bei Wystawki, 2. Pionier-Bataillon 122 dorthin beordert.
  • 11.30 UhrAngriff auf Gorodischtsche zerschlagen. Nach aufgefangenem Funkspruch greift Russe in großem Stil mit starken Kräften den Abschnitt südlich der Rollbahn Pustoschka-Newel an.
  • 12.30 Uhrwird Ossetki vom Feind genommen. Südlich Gorodischtsche Angriff mit Panzern. In Schirnowo sind drei Panzer ein­gebrochen, haben Bunker zerschossen. Sturmgeschütze gehen von Wystawki dagegen vor.
  • 13.10 Uhrbefindet sich der Russe mit Panzern und Sturm-Geschützen auf der Rollbahn 500m nordwestlich Wystawki. General Chili hat den Eindruck, dass der Feind von Schelkonicha aus in breiter Front nach Osten gegen die Rollbahn vorgeht. Einzelne Panzer sind bei Schir­nowo durchgebrochen. Hauptkampflinie westlich des Ortes fest in eigener Hand. Rollbahn bei Lowez unpassierbar. Abwehrfront von Höhe 169 über Ssamogarischa und Kossolapicha nach Westen durch Pionier-Bataillon 122 im Aufbau. Nach Vorgezogner-Beobachter-Meldung Einbruch südlich Gorodischtsche.
  • 13.20 Uhrmeldet Kommandeur des Pionier-Bataillon 122 bei Wystawki russische Spähwagen mit aufgesessener Infanterie. Im Raum Ssamogarischa-Kossolapicha eigene rückwärtige Bewegungen.
  • 13.50 Uhrist gemäß Funkspruch Hauptkampflinie bei Ossetki fest in eigener Hand. Hier steht der rechte Flügel der 122. Infanterie-Division und hält. Zwei feindliche Spähwagen in Fahrt nach Osten westlich Wystawki. Bei diesem Ort ist unser Abwehrriegel aufgebaut.
  • 15.25 Uhrhat der Russe das Höhengelände nördlich Ssamogarischa besetzt. Gegenmaßnahmen zur Abriegelung sind im Gange.
  • 16.20 Uhrwird die Zuführung des verlasteten II./G.R.437 zugesagt. Ssa­mogarischa ist vom Feind besetzt. Eigener Sperrriegel hält Linie Wystaw­ki- Rjabowki.
  • 16.40 Uhr: Einbruch bei Gorodischtsche wurde beseitigt, dabei 6 Panzer abgeschossen. Sturmgeschütze warfen Panzer aus Schirnowo zurück. 19.30 Uhr ergeht die Meldung, dass ein russischer Einbruch vor einer halben Stunde bereinigt wurde. Die Abwehrfront steht im Aufbau in der Linie Ossetki- Sysi-Wystawki bis zu den Höhen Süd ostwärts Ssamogari­scha. Gefechtsaufklärung läuft gegen Kossolapicha. In der Abwehrfront sind eingesetzt: II./G.R.437, Pionier-Bataillon 122, Straßenbau-Pionier-Bataillon 502, Teile Heeres Pionier-Bataillon 672, II./G.R.159, II./G.R.502, einzelne Sturmgeschütze.

Am Abend des 16.11.1943 musste die 122. Infanterie-Division damit rechnen, dass auch nachts und an den nächsten Tagen weitere heftige Angriffe bevorstanden, bei Gorodischtsche beginnend und sich nach Norden auf die Abschnitte der drei Nachbardivisionen – 32., 23. und 290. Infanterie-Division – ausdehnend. Im Be­streben, seinen Anfangserfolg im Raum Iowez mit einem über 2km tie­fen und breiten Einbruch auszuweiten, wird der Russe weiterhin be­sonders Ossetki berennen; hier muß die Division vornehmlich artille­ristisch unterstützen. Auch an anderen Stellen des Divisionsabschnittes muß mit weiteren Fesselungs- und Ablenkungsangriffen gerechnet werden, wie heute bei G.R.102.

Den Einsatz des Pionier-Bataillon 122 mit seinen harten Kämpfen schildern die beteiligten Pionier-Offiziere: „Pionier-Bataillon 122 war Divisionsreserve, als beim rechten Nachbarn bei Teilen der 290. Infanterie-Division, die unter dem Befehl der 32. Infanterie-Division standen, am 16.12.1943 vormittags durch die Russen ein Ein­bruch erfolgte. Der Kommandeur des Pionier-Bataillon 122, Hauptmann Liske, wurde durch den la der 122. Division, Oberstleutnant i.G.Weber, in die Lage ein­gewiesen und erhielt Befehl, den Einbruch bei Ssamugarischa abzurie­geln, dazu die 1. und 2. Kompanie mit allen verfügbaren Lastkraftwagen dorthin zu transportieren. Die 3. motorisierte Pionier-Kompanie erhielt den Auftrag, die Rollbahn Lowez-Newel zu sperren. Der Kompanie-Chef, Oberleutnant Kopp, berichtet darüber: Bis zum 16.12.1943 früh waren wir dem G.R.409 unterstellt und hinter einem See infanteristisch eingesetzt. Am Vormittag wurde die Kompanie herausgelöst und ließ 2 schwere M.G. mit Bedienung zurück. 500m hinter unserer Stellung hatten wir T-Minen, S-Minen und Kastenminen für mögliche Sperraufträge eingelagert. Nach Eintreffen der Lastkraftwagen gegen 13.00 Uhr verlud die hier sam­melnde Kompanie die Minen. Nach kurzem motorisierten Marsch auf der Rollbahn Newel-Lowez hielt der Bataillons-Kommandeur die Kompanie an, wies mich kurz in die Lage ein und erteilte den Sperr- und Einsatzbefehl. Der Russe, der von West nach Ost angriff, hatte diesen Teil der Rollbahn noch nicht erreicht. Daher konnte der II. Zug in einer leichten Kurve, die einen Straßeneinschnitt bildete, die Rollbahn in 30m Länge im Streueinsatz verminen. Die Arbeit blieb vom Gegner unbemerkt, sie dauerte einschließlich Tarnen der Minen im Schnee 30 Minuten. Auf dem Kompanieabschnitt lag zu dieser Zeit nur geringes Störungsfeuer. Der I. Zug sicherte inzwischen auf einer nordwestlich an die Rollbahn anschließenden Höhe. Mit dem II. Zug und den vor dieser Höhe aufgefan­genen Teilen der 290. Infanterie-Division (Reste eines Bau-Pionier-Bataillons und eines Radfahrzuges) wurde die nächste vom Feind besetzte Höhe und das Dorf Ssamugarischa im Angriff genommen und besetzt. Mit Anbruch der Dun­kelheit flammten die Kämpfe wieder auf, der verstärkte II. Zug wurde von der gewonnenen Höhe geworfen, ein erneuter Gegenstoß der ganzen 3. Kompanie missglückte. Daraufhin grub sich die Kompanie 150m nordostwärts des Dorfes Ssamugarischa auf einem Höhengelände ein. Die Frontbreite betrug etwa 500m. Die Kampfstärke der Kompanie zusam­men mit den unterstellten Teilen der 290. Division zählte rund 130 Mann. Dazu kamen ein dem Pionier-Bataillon unterstelltes schweres Infanterie-Geschütz, ein B.B. des A.R.122 und ein schwerer Granat­werferzug der 290. Division, der unmittelbar hinter der Stellung der 3./Pi 122 lag. Etwa 500m weiter rückwärts gestaffelt lagen noch Teile einer Flugabwehreinheit mit einer 8,8cm Flak und einigen 2cm Flugabwehrgeschützen in Stellung, die einen etwaigen Panzer­durchbruch auffangen sollten. Sie waren dem Pionier-Bataillon nicht unterstellt. Am Abend des 16.12.1943 fand die 3./Pi 122 den Anschluß nach rechts an die 32. Infanterie-Division, Anschluß nach links südostwärts der Rollbahn wurde nach Eintreffen der 2./Pi 122 hergestellt.

Inzwischen erhielt Oberleutnant Reiser, der Chef der 2./Pi 122, den Auftrag, in Anlehnung rechts an die Rollbahn und links an 1./Pi 122 (Oberleutnant Bendeleit) ein Höhengelände zu erreichen und zu halten. In überschlagendem motorisierten Marsch erreichten beide Kompanien ihren Einsatzraum. Oberleutnant Reiser saß im vordersten Lkw. Die Straße lag, bei teilweiser Feindeinsicht, im Störungsfeuer seiner Artille­rie und Stalinorgeln. Die tiefgestaffelte motorisierte Kolonne der 2./Pi 122 wurde zum Absitzen und die Kompanie zur Entwicklung gezwungen, die Lkw fuhren zurück. Kaum hatte sich die Kompanie entfaltet, als auch schon ein russischer Panzerangriff (T 34) erkannt wurde. In Trauben hingen die Sturmtruppen an und auf den Panzern. Durch das Feuer al­ler Maschinengewehre gelang es den Pionieren, die Masse der rus­sischen Infanterie von den Panzern zu lösen und ihnen hohe Verluste zuzufügen. Die Panzer, ohne begleitende Infanterie plötzlich un­sicher geworden, drehen ab und kehren in ihre Ausgangsstellungen zu­rück. Diesen Schwächemoment des Feindes ausnutzend befiehlt der Ba­taillons-Kommandeur das Besetzen einer Riegelstellung auf einer An­höhe, auf der sich eine alte Flakstellung mit Holzbunkern, aller­dings frontverkehrt, befindet. In einem dieser Holzbunker richtet der Kommandeur seinen Bataillons-Gefechtsstand ein. Die Kompanien graben sich, so gut es geht, in den leicht gefrorenen Boden ein. Die Meldung über das Schließen der Einbruchslücke und das Sperren der Rollbahn ergeht durch Funk an die Division. Die Verbindung nach rechts zur 3./Pi 122 ist hergestellt, nach Eintreffen hat auch die 1./Pi 122 an ihrem linken Flügel Anschluß an die 2./Pi 122 gefunden. Ein vorgeschobener Beobachter zweier unterstellter schwerer Infanterie-Geschütze (s.I.G.) meldet dem Bataillons-Kommandeur die Feuerbereitschaft. Durch die Funkverbindungen der schweren Infanterie-Geschütze ist Überlagerung der Fernsprechverbin­dungen zu den Kompanien sichergestellt. Zur Zeit herrscht Ruhe.

Quelle: Greif-Rundbrief, Mitteilungsblatt der ehemaligen 122. (Greif) Inf.-Division, Nr. 61, Juni 1978, 26. Jahrgang