Der Greif – ein uraltes Wappentier

Greif

Hier folgen einige historische Hintergründe zur Verwendung des Greifen als Wappentier im allgemeinen.

Quelle: Greif-Rundbrief Nr. 7, März 1955

Greifswald, Greifenberg, Greifenhagen – jeder von uns wir allein durch diese drei altvertrauten Namen ganz besonders heimatlich angesprochen: ist doch jedem Pommern der Greif, der auch mit vollem Recht den Titel unserer Zeitschrift ziert, als das uralte Wappen der Lande zwischen Danzig und Mecklenburg bekannt.
Wie ist nun der Greif nach Pommern und in die Namen der genannten pommerschen Städte gekommen?
Sehr weit in dem uns bekannten Teil der menschlichen Geschichte können wir den Greifen zurückverfolgen. Wie sehr vieles andere hat auch er sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, wenn auch nicht viel. Wir kennen ihn in der Form, wie er seit dem frühen Mittelalter fast ausnahmslos dargestellt wird, als ein Fabelwesen, das aus Adler und Löwe zusammengesetzt ist: vom Adler hat er den Kopf, Hals, Flügel und Fänge, vom Löwen den Rücken, die hinteren Pranken, und den langen Schweif. Absonderlich mag es uns vorkommen, daß an dem Vogelkopf aber immer zwei lange Ohren zu sehen sind, sie stehen nach hinten oder schräg rückwärts. Aus dem Altertum gib es auch Greifen in Malerei oder Plastik, die ihm alle vier Beine einen Löwen gegeben haben oder ihn als Zusammensetzung aus Adler und Stier erscheinen lassen.

Ein geborener Pommer ist nun der Greif allerdings nicht. Er stammt im Gegenteil von sehr weit her; aus dem Morgenland, und bekanntlich haben ja die Orientalen eine weit regere Phantasie als unsere meist recht bedächtigen Landsleute. Gesehen hat natürlich einen lebendigen Greifen niemals ein Mensch, in vielerlei Sagen und Märchen hat er aber bis weit in das deutsche Mittelalter hinein eine Rolle gespielt. Sein uns geläufiger Name stammt aus dem Althochdeutschen, er geht vermutlich auf das Assyrische zurück und mag mit dem Wort „Cherub” zusammenhängen, wie ja auch diese beiden Begriffe manche Verwandtschaft zeigen.

Dort im fernen Mesopotamien begegnet uns der Greif schon im zweiten Jahrtausend vor Christus; von der bildenden Kunst immer wieder dargestellt als Schmuck besonderer geheimnisvoller Art an vielen verschiedenen Gegenständen. Vom Euphrat und Tigris her wurde der Greif dann den Völkern an den Küsten des Mittelländischen Meeres bekannt, er kam nach Griechenland und – schon vor der Zeit der Römer nach Italien zu den Etruskern.

Verweilen wir kurz in Griechenland: schon auf der, aus den Jahren um 550 v. Chr. stammenden, berühmten, griechischen Prachtvase (nach dem glücklichen Finder „Francois-Vase” genannt) im Museum zu Florenz finden wir den Greifen in einer Darstellung, die fast als wappenähnlich bezeichnet werden könnte. Aeschylos, der Schöpfer der griechischen Tragödie und damit der Vater unseres ganzen Theaterwesens, nennt ihn in der bildhaften Sprache jener Zeit, die immer wieder neue Eigenschaftsworte schuf, den „vierschenkligen” Vogel. Und nun kommt etwas ganz besonderes: Schon damals, also vor nunmehr rund 2500 Jahren, finden wir den Greifen, unseren pommerschen Greifen, als das Wahrzeichen (der Laie würde sagen: „als das Wappen”) eines Staates: er verwendet ihn lange Zeit auf seinen Münzen, wie das alte Athen die Eule (daher: „Eulen nach Athen tragen”) und wie noch heute auf unseren Münzen der Reichsadler steht. Zwar war es damals nur ein recht kleiner „Staat”, nach der Sitte der Zeit eigentlich nur eine Stadt, ein Städtchen, mit etwas Land ringsum, das dazugehörte — wir sagen heute dazu: ein Landkreis. Auch war dieser Staat leider durchaus nicht reich und mächtig. Was hilft’s, es muß schon gesagt werden, wir können schließlich nichts dafür: jener Staat, der den Greifen auf seine Münzen prägte, war Abdera, an der nordostgriechischen Küste, und seine Einwohner, die Abderiten, hatten bedauerlicherweise einen nicht eben besonders guten Ruf: sie waren das, was in Deutschland später die Schildbürger waren, brave Leute, aber leider ein bißchen dumm, man erzählte immer wieder neue Streiche von ihnen, vielleicht sogar auch einmal wahre.

Doch nun soll uns der Greif mit seinen mächtigen Schwingen an die Ostseeküste tragen – der pommersche Wappenvogel ist uns doch wichtiger als der aus Assyrien und Abdera. Seit in der Zeit der Kreuzzüge in Europa das Wappenwesen entstand, war der Greif hier für gerade in den nordischen Ländern besonders beliebt, außer dem pommerschen Fürstenhaus führte ihn auch das mecklenburgische noch vor dem dann bekannt gewordenen Stierkopf; nur die Rostocker Linie der mecklenburgischen Herzöge behielt den goldenen Greifen im blauen Felde bei, und in manchen mecklenburgischen Ortswappen hat er sich bis auf unsere Tage erhalten. Auch in Schweden ist der Greif noch heute in einer Anzahl Provinz- und Stadtwappen zu treffen, und es wird nur wenigen bekannt sein, daß z. B. das Wappenbild der Stadt Stettin, der goldgekrönte, rote Greifenkopf, auch von der schwedischen Provinz Schonen und von deren Hauptstadt Malmö geführt wird, aber nicht im blauen Felde, sondern bei jener im goldenen, bei dieser im silbernen.

Die bilderfreudige Zeit unserer Vorfahren schuf auch Wappen für die Zünfte: heute sieht man sie kaum noch, bis auf gelegentlich einen goldenen Brezel der Bäcker, der von zwei goldenen Löwen im blauen Felde gehalten wird. So war der Greif das Wappen der Buchdrucker, er hielt in den Fängen die beiden aufeinandergesetzten Druckerballen. Doch kam dies erst in Aufnahme, lange nachdem die Herzöge von Pommern den Greifen als Wappen und Siegelbild angenommen hatten. Der älteste bekannte Beweis hierfür stammt schon aus dem Jahre 1214. Jene alten Siegel lassen natürlich keine Farben erkennen – ohne Farben kein Wappen! aber es ist sehr wahrscheinlich, daß der Stettiner Greif (Herzogtum Pommern-Stettin) von Anfang an rot in Silber war, während die Herzöge von Pommern-Wolgast ihn schwarz in Gold führten. Später hat man dann noch eine ganze Anzahl andersfarbiger und -formiger Greifen, z. T. recht bunt, für die einzelnen Teile Pommerns hinzuerfunden und die Hohenzollern, als neue Herren des Landes nach dem Erlöschen des einheimischen Fürstenhauses, führten lange Zeit hindurch bis zu sieben verschiedene Greifen in ihren Wappen. Damit sollte ausgedrückt werden, daß nun aber auch wirklich und wahrhaftig sämtliche Teile des so lange erstrebten und so sehr hochgeschätzten Landes zum Kurfürstentum Brandenburg, später zum Königreich Preußen, gehörten. Wie sehr schon in jenen alten Zeiten der Greif das Sinnbild nicht nur für die Angehörigen des herzoglichen Hauses, sondern darüber hinaus für das ganze Land Pommern war, sehen wir aus einem hochdiplomatischen Notenwechsel zwischen dem Herzog von Wolgast und dem Kurfürsten von Brandenburg: es heißt da: “… laten uns by unsen landen und luden de to dem gripe horen …”, im Jahre 1465.